Sollen Verhandlungen abgebrochen werden?

Von Stefan Kühn

Im geschäftlichen und im privaten Alltag kommt von Zeit zu Zeit die Frage auf, ob man überhaupt verhandeln soll, oder ob es nicht Zeit und Nerven sparender wäre, die als unfruchtbar wahrgenommenen Gespräche abzubrechen. Schwierige, vermeintlich aussichtslose Situationen können massiven Stress auslösen. Sich dem entziehen zu wollen, ist nachvollziehbar. Und dennoch, macht ein Abbruch Sinn? Wo liegen die Risiken und Chancen des Nicht-Verhandelns?

Auch wenn diese Frage damit noch nicht beantwortet ist, gilt eine Feststellung als gesichert: Die meisten Menschen ziehen sich zu oft und unüberlegt aus einer Verhandlung zurück und vergeben sich dadurch enorme Chancen. Der Entscheid, ob Verhandlungen abgebrochen, ignoriert oder auf die lange Bank geschoben werden sollen, will somit gut überlegt sein.

Bevor man sich zu einem Abbruch oder Nicht-Eintreten in eine Verhandlung entscheidet, sollte man zwei Fragen beantworten: Wieso will man die Verhandlungen oder Gespräche abbrechen, und was bewirkt ein Verhandlungsabbruch?

Es gibt vier wesentliche Gründe, warum sich Parteien einer Verhandlung bewusst oder unbewusst entziehen:

  • Emotionen, Unwillen oder Unfähigkeit, mit Konflikten umgehen zu können
  • Fehleinschätzung der Situation
  • Taktik
  • Änderung der strategischen Ausrichtung, neue Ziele

Auf die ersten zwei Punkte möchte ich im Folgenden näher eingehen. Mit 45% sind Emotionen der häufigste Grund für Verhandlungsabbrüche. Wir fühlen uns verletzt, sind beleidigt, haben Angst, sind aufgebracht oder extrem wütend, neidisch usw. Die Liste ist lang, aber die wesentlichsten negativen Emotionen Wut, Angst und Verletzt sein, stehen ganz oben auf der Liste. Verhandlungen aufgrund von Emotionen abzubrechen, ist meistens nicht sinnvoll. Unkontrollierbare Emotionen rauben uns die Möglichkeit klar zu sehen. Die meisten daraus resultierenden Entscheidungen sind falsch, im besten Fall unklug. Obschon wir als emotionale Wesen unsere Gefühle nicht ausschalten können, dürfen wir uns nicht vollends von ihnen leiten lassen. Wie destruktiv und lähmend negative Gefühle sein können, zeigt sich an Generationen überdauernden Konflikten. Oftmals kann die aktive Generation sich gar nicht mehr erinnern, oder nachvollziehen, wieso Firmen, Familien, Gruppen, Regionen oder ganze Länder miteinander nicht klarkommen, oder sogar verfeindet sind. Die Sachebene des ursprünglichen Verhandlungsabbruchs oder Konflikts ist längst unbändigen Emotionen gewichen. In diesem Sinne gibt es bei Emotionen Muss-Regeln, die jede/r gute Verhandler/in beherrschen sollte:

  • Nie unter Emotionen entscheiden
  • Sich Zeit verschaffen, um die Situation klug zu analysieren
  • Sich stets bewusst sein, dass wir die Absicht der Gegenpartei (aus unserer Sicht der Grund unserer Emotionen) nicht kennen. Wir haben nur die Chance diese zu erfahren, wenn wir sie erfragen
  • Sich der nachhaltigen Konsequenzen seines Entscheids (für sich und sein Umfeld) bewusst sein
  • Sich beraten lassen, um mehr Objektivität zu erhalten

Der zweithäufigste Grund für einen Verhandlungsabbruch ist die Fehleinschätzung der Situation. Im Gegensatz zu emotionalen Entscheiden, wird auf Fehleinschätzung basiertes Handeln ganz bewusst gemacht. In knapp 40% aller Fälle entscheiden sich Parteien aufgrund relativ starker kognitiver Verzerrungen für einen Abbruch. Dazu gehören Vorurteile, Selbstüberschätzung, Kontrollillusion und viele mehr. Ein solcher Verhandlungsabbruch ist ebenso unklug, wie ein auf Emotionen basierter Rückzug.

Wer wirksam verhandeln und nicht in die Falle der Fehleinschätzung tappen will, sollte Folgendes beachten:

  • Realistische Selbsteinschätzung vornehmen: Man sollte sich bewusst sein, dass es nebst der eigenen Person noch weitere sehr gute, ab und dann auch bessere Führungskräfte gibt, oder, dass man sich nicht unterschätzen und seine Fähigkeiten unter Beweis stellen sollte.
  • Wissen ausbauen: Wer glaubt, alles über einen Geschäftsfall oder eine Verhandlung zu wissen, liegt komplett falsch. Wer blindlings auf dieser Basis entscheidet, entscheidet unklug.
  • Kontrolle richtig einschätzen: Wer glaubt, über etwas die absolute Kontrolle oder Macht zu haben, ist nicht mächtig, sondern naiv.
  • Rat einholen: Wenn es um viel geht und Unsicherheiten bezüglich einer korrekten Einschätzung der eigenen Verhandlungssituation vorliegen, kann eine Zweitmeinung wertvoll sein.

Abschliessend sollte man sich vor einem Abbruch der Gespräche im Detail überlegen, was die Kurz- und Langzeitfolgen des Abbruchs sein werden und ob sie einem mehr schaden oder dienen werden. Wenn uns die Geschichte eines gelehrt hat, dann dies: Probleme lösen sich nicht, indem man nicht miteinander spricht. Es mag gute Gründe geben, wieso Sie beim nächsten Mal eine Verhandlung abbrechen wollen. Bevor Sie es tun, überlegen Sie es sich aber besser zweimal.

Über den Autor

Stefan Kühn
Verhandlungsexperte, Partner

Stefan Kühn, Partner/CEO INCS AG, ist Verhandlungsführer, Verhandlungstrainer und Mediator. Er führt nationale und internationale Multi-Parteien-Verhandlungen und berät Unternehmen, Organisationen und staatliche Stellen in anspruchsvollen und konfliktbehafteten Situationen. Er ist Absolvent des Programms „Negotiation & Diplomacy“ der Harvard Law School, der Metropolitan Police (MPSTC) in „Difficult Negotiations, Profiling, Tactics & Emotions“ und der CIAU in „Crisis Negotiation & Communication“.

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